Der Fette, der Feiste, der Unartige, der Einfältige, der Kahle, der Fromme, der Gebissene – was ist dran an den Beinamen der Fürsten? Herzog Heinrich war Stifter von vier Klöstern
Im 12. Jahrhundert waren die Welfen das mächtigste Fürstenhaus in Deutschland. Heinrich der Löwe war Herzog von Bayern und Sachsen. Doch der Löwe stürzte und wurde entmachtet. Was blieb, war das Gebiet vom südlichen Niedersachsen bis Lüneburg. Dieses Restgebiet wurde 1267 durch Erbteilung zu den »älteren Häusern« Lüneburg und Braunschweig. 12 Jahre später starb Albrecht, der Herzog von Braunschweig und wieder kam es zur Erbteilung: als ältester der drei minderjährigen Söhne wurde Heinrich I. von Braunschweig zum Begründer des Fürstentums Grubenhagen.
Die Kindheit Herzog Heinrich war im Alter von 12 Jahren vorbei, als er seine ersten Regierungsgeschäfte übernahm. Mit 15 heiratete er Agnes, die Tochter des Landgrafen Albrecht, dem Unartigen. Noch keine 20 Jahre alt, beschloss Heinrich, die Einbecker Münsterkirche neu bauen zu lassen und stiftete kurz darauf das älteste, noch vollständig erhaltene und datierte Chorgestühl Deutschlands. Mit 25 Jahren hatte er Ambitionen auf den deutschen Königsthron, die sich allerdings nicht erfüllten.
Im Jahre 1292 starb sein Bruder Wilhelm, der die Stadt Braunschweig mit Umgebung bekommen hatte. Um dieses Erbe geriet Heinrich mit seinem Bruder »Albrecht, zugenannt der F eiste« in einen heftigen Streit, weil es diesmal keine Teilung gab, sondern sein jüngerer Bruder Wilhelm das ganze Erbe übernahm. Heinrich reagierte mit einem Beschwerdebrief. Daraufhin »stellten sich die Braunschweiger Gilde- und Innungsmeister an seine Seite und erklärten ihn für den rechtmäßigen Herrn von Braunschweig. Zwölf Innungsmeister zogen mit Hülfe der Gilden alle Gewalt an sich, so daß der Magistrat gar nichts mehr zu sagen hatte«. Doch die Braunschweiger hatten nicht mit Albrecht gerechnet. Er ließ die Stadt umstellen und wartete auf eine Gelegenheit, hinein zu kommen. Die bot sich bereits nach kurzer Zeit: »ein heimlicher Anschlag des Rathes gelang, und Albrecht mit den Seinigen von Riddagshausen her durch eine Mühle in die Stadt«. Nach einer anderen Version drang er »hey nachtschaffender Zeit bei S(ancti) Andreae Kirch Zum Neuen Stadt Thor« in die Stadt ein. Albrechts Ritter besetzten das Rathaus und nahmen 40 Handwerksmeister gefangen. Zehn der zwölf Innungsmeister kamen als Rädelsführer an den Galgen, einer wurde enthauptet. Nur einem einzigen Meister gelang die Flucht.
Herzog Heinrich hatte sich inzwischen in die Burg Grubenhagen zurückgezogen. Braunschweig war wieder in der Hand seines Bruders. Dieser Vorfall gibt einen weiteren Einblick in den Charakter des 25-jährigen Fürsten. Mehr als hundert Jahre vorher hatte sein Ur-Urgroßvater Heinrich, der Löwe, seine Interessen mit äußerster Rücksichtslosigkeit durchgesetzt. Er nahm sich einfach, was er wollte. Vergleicht man die beiden Welfenfürsten Heinrich und Heinrich, dann fällt auf, dass beide bereits in früher Jugend an die Macht kamen und immer machthungriger und rücksichtsloser wurden. Bereits 1283 hatte Heinrich Krieg geführt – ein Heerführer im Alter von gerade mal 15 Jahren.
Als er 30 war, führte Heinrich Krieg mit der Stadt Höxter, bei dem er nachweislich Güter bei Kohnsen und Vardeilsen annektierte. Kurz da- rauf geriet er mit seinem Bruder Albrecht in eine Fehde gegen den Markgrafen von Brandenburg und seinem Verbündeten Herzog Otto zu Lüneburg. Bei dieser Auseinandersetzung verlor Heinrich die Orte Brome, Vorsfelde, Stellfeld und Hasenwinkel. 1306 sandte er seinem Schwager »Friedrich, dem Gebissenen« Hilfstruppen bei einem Konflikt mit seinem Schwiegervater »Albrecht, dem Unartigen«. Noch 1310 war Heinrich in Kriegshandlungen verwickelt und musste wegen der Geiselnahme eines Ritters Schadenersatz zahlen. Bis dahin war er insgesamt 27 Jahre lang immer mehr oder weniger in kriegerische Auseinandersetzungen verwickelt.
Die meisten Fürsten, Könige und Kaiser hatten Beinamen, was bei den vielen Heinrichs, Karls, Ludwig und Ottos auch kaum verwunderlich ist. Wie sollten die »einfachen« Bürger sie sonst auseinander halten. So gab es nicht nur Karl den Großen, sondern auch den Kahlen, den Einfältigen und den Dicken. Genauso verhielt es sich mit Heinrich: Hier gab es den Seefahrer, den Stolzen und wie bereits erwähnt: den Löwen. Dabei ließen die Beinamen nicht immer auf die charakterlichen oder körperlichen Eigenschaften eines Herrschers schließen. Ludwig der Fromme zum Beispiel ließ gleich am Anfang seiner Regentschaft dem kleinen Sohn seines Bruders die Augen ausstechen und Karl der Kahle war keineswegs glatzköpfig – er hatte nur kein Land.
Herzog Heinrich I. von Braunschweig wurde auch Heinrich »Mirabilis« genannt. Dieser lateinische Beiname wird gemeinhin als »der Wunderliche« übersetzt. Allerdings erscheint dieser Name kaum berechtigt, weil er der »unruhigsten Fehdelust, der rücksichtlosesten Missachtung fremder Rechte, namentlich der seiner Brüder und einer üblen Wirtschaftsführung« beschuldigt wird. Doch zu seiner Zeit herrschte »furchtbare Verwirrung und Verwilderung im deutschen Reiche«, die auch durch das Strafgericht von 1290, als Kaiser Rudolf auf dem Erfurter Reichstag 29 adelige Landfriedensbrecher verurteilte, nicht gemindert wurde. Es scheint also eher so zu sein, dass Heinrich durch die Macht der damaligen Verhältnisse mehrfach zu kostspieligen Kriegszügen gezwungen wurde und die Wegelagerei war noch lange nach Heinrichs Zeit »adliche und selbst fürstliche Beschäftigung«
Der Vorwurf der schlechten Wirtschaftsführung erscheint allerdings begründeter. Urkundlich sind mehrere Verpfändungen überliefert und die von ihm gemachten Schulden führten nach seinem Tode zum Verlust von einigen Gütern. In der »Geschichte des Fürstentums Grubenhagen« wird der Name damit erklärt, dass Heinrichs Bruder Albrecht, mit dem er öfter Streitigkeiten hatte, ihn dabei wütend als den »Wunderlichen Heinrich« beschimpfte. Heinrich war trotz seiner ständigen Finanznöte wegen seiner vielen kostspieligen und meist nicht sehr erfolgreichen Fehden der Stifter von vier Klöstern in seinem Gebiet, unter anderem in Einbeck. Weil er deswegen bewunderungswürdig war, bekam er möglicherweise den Beinamen Mirabilis, im Sinne von »der Wunderbare«.
Ob man den Beinamen Mirabilis mit wunderlich oder wunderbar übersetzt, bleibt letztendlich dann dem geneigten Leser überlassen.
Text und Foto: Wolfgang Kampa, Einbeck
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